LEIVTEC XV3 und kein Ende der Probleme? ("ein zeitliche Abriss")

Das Messgerät Leivtec XV3 steht unter Sachverständigen schon länger unter Verdacht, unterschiedliche Messergebnisse zu produzieren, nur, es gab bislang kein Verfahren, dieses nachzuweisen. Die Betroffenen in einem Bußgeldverfahren berichteten mir immer wieder mit unterschiedlichen Begründungen, nicht so schnell wie ihnen vorgeworfen wurde, gefahren zu sein. Nur glauben wollte Ihnen das Gericht nie, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Messung in einem sog. standardisierten Messverfahren vom Messgerät vorgetragen werden konnten. Der von dem Gericht mitunter beauftrage Sachverständige konnte meistens keine Fehler feststellen.


Sachverständige entdecken neuen Messfehler

Jetzt ist es jedoch Sachverständigen in einer Zusammenarbeit gelungen, einen reproduzierbaren und eindrucksvollen Nachweis für Unregelmäßigkeiten zu führen, indem sie nach ca. 900 Versuchsfahrten mit unterschiedlichen Fahrzeugen ab Sommer 2020 feststellten, dass es bei dem Messgerät Leivtec XV3 zu zahlenmäßig relevanten unzulässigen Messabweichungen kommen kann. Wer sich vertieft mit den Fakten beschäftigen möchte, kann dieses gerne nachlesen unter:

https://www.iqvmt.de/LeivtecXV3.html


Messungen nicht verwertbar

In den Untersuchungen kam es u. a. zwischen zwei Messgeräten des gleichen Typs XV3 des Herstellers Leivtec, die nebeneinander aufgestellt wurden, zu gravierenden Abweichungen, die außerhalb der zulässigen Verkehrsfehlergrenze lagen (Ergebnisse: 125 Km/h und 141 Km/h). Im Falle echter Messungen auf der Straße wären diese nicht verwertbar gewesen und das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen einzustellen. Das wäre an für sich eine gute Nachricht für laufende und kommende Bußgeldverfahren mit vermeintlichen Geschwindigkeitsübertretungen.


Aufsichtsbehörde PTB bessert nach

Die "schlechte" Nachricht ist jedoch, dass die Behörde, die für die Zulassung und Überwachung solcher Messgeräte zuständig ist, die PTB (Physikalisch-Technische Bundesanstalt, mit Sitz in Braunschweig und Berlin), zwischenzeitlich nicht untätig war. Dem Hersteller Leivtec Verkehrstechnik GmbH wurde die Änderung der Bauartzulassung für das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät XV3 (PTB-Zul. 18.11/09.04 vom 02.07.2019) genehmigt, indem dem Hersteller zusätzlich zur Gebrauchsanweisung "Leivtec XV3-Geschwindigkeitsüberwachungsgerät - Stand 01.12.2014 - die Ergänzung zur Gebrauchsanweisung "Leivtec XV3-Geschwindigkeitsüberwachungsgerät - Stand 14.12.2020 zur Verwendung aufgegeben wurde.

Die PTB konnte den Fehler reproduzieren und anhand ihrer Referenzgeräte tatsächlich feststellen, dass unterschiedliche Aufstellwinkel des Messgeräts mitunter zu unterschiedlichen Messergebnissen führen können. Eine schriftliche Stellungnahme zu den Erkenntnissen der Sachverständigen ist nun unter www.ptb.de (Suchbegriffseingabe: Leivtec XV3) abrufbar (siehe auch Datei im Download).


In der Ergänzung zur Gebrauchsanweisung vom 14.12.2020 heißt es nun u. a.:

"Beurteilung des Messung-Start Bildes

Zur Verwertbarkeit der Beweisbilder muss für alle in Kapitel 5.4 aufgeführten Kriterien zusätzlich folgende Bedingung für das Messung-Start-Bild erfüllt sein:

Sofern sich im Messung-Start-Bild nicht das komplette Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens befindet, muss die innerhalb des Messfeldrahmens abgebildete Breite des Kennzeichens mindestens der zweifachen Höhe des Kennzeichens entsprechen.

Bei Messungen mit der Einfahrt des Fahrzeugkennzeichens in den Messfeldrahmen von oben muss im Messung-Start-Bild das gesamte Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens abgebildet sein."


Um das zu verstehen, muss man wissen, dass das Messgerät Leivtec XV3 bei der Messung zwei Bilder festhält, dass Messung-Start-Bild und das Messung-Ende-Bild, die im Nachhinein im Hinblick auf die oben genannten Kriterien durch einen Anwalt überprüfbar sind und auch regelmäßig überprüft werden sollten.


PTB geht erneut neuen Hinweisen über Messfehler nach

Wer glaubte, dass die Probleme des Messgeräts Leivtec XV3 mit der ergänzenden Gebrauchsanweisung nun ein Ende gefunden haben, wird eines Besseren belehrt. Wie man der Stellungnahme des PTB vom 12.03.2021 entnehmen kann, erlangte die PTB am 09.03.2021 nun Kenntnis über weitere Versuche von (anderen) Sachständigen, die laut PTB zeigen, dass es darüber hinaus spezielle Szenarien gibt, bei denen es auch unter den Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann. (M. Kugele, T. Gut, L. Hähnle, Versuche zum Stufeneffekt beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leitvec XV3, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021). Die PTB hat nun mit intensiven Versuchen begonnen.

Die Sachverständigen Kugele, Gut und Hähnle hatten festgestellt, dass es bei Messungen mit bestimmten Konstellationen zu einer sog. "stufeneffektbedingten Fehlmessung" kommen kann, bei denen die Messwerte des Leivtec XV3 außerhalb der zulässigen Verkehrsfehlergrenzen liegen können.

Dazu muss man wissen, dass beim Stufeneffekt der Laserstrahl des Messgeräts auf zwei ähnlich gute Reflektoren eines Fahrzeugs trifft, die sich in Strahllängsrichtung in unterschiedlichen Entfernungen zum Messgerät befinden. Es ist dann möglich, dass der Laserstrahl die Reflektoren am Fahrzeug nacheinander trifft, wodurch dieser einen Sprung um eine "Stufe" macht. Dieser Effekt kann bei Leivtec XV3 auftreten, weil das Prinzip der Messwertbildung bei diesem Messgerät darauf beruht, dass der Sensor des Messgeräts Laserimpulse aussendet, die am gemessenen Fahrzeug reflektiert werden und nach einer von der Entfernung abhängigen Zeit wieder am Sensor eintreffen. Hierbei wird die Laufzeit der Laserimpulse gemessen, wodurch die Entfernung vom Messgerät zum Fahrzeug bestimmt werden kann. Durch die Änderung der Entfernung des Fahrzeugs in einer bestimmten Zeit, berechnet das Messgerät dann die Geschwindigkeit. Die sog. "stufeneffektbedingten Fehlmessung" entsteht dann, wenn der Laser des Messgeräts sich während der Messung einen weiteren Reflektor am Fahrzeug sucht, der die Messstrecke ändert, wodurch andere Entfernungen für die Berechnung der Geschwindigkeit festgehalten werden, die der geänderten Messentfernung entsprechen. Das Messgerät kann dann falsche Geschwindigkeiten berechnen.

Ich zitiere aus der Zusammenfassung der Untersuchungen der Sachverständigen Kugele, Gut und Hähnle (VKU Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021, Seite 97 bis 98):

"In mehreren Messreihen in unterschiedlichsten Konstellationen wurde der Stufeneffekt bei Leivtec XV3 nachgewiesen. Dieser kann sowohl bei Reflektoren innerhalb als auch außerhalb des Fahrzeugs auftreten. Je nach Stufenlänge können erhebliche, weit über den Verkehrsfehlergrenzen hinausgehende Messfehler auftreten. In den durchgeführten Versuchen bei Geschwindigkeiten bis circa 100 km/h wurde durch das Leivtec XV3 bis zu 11 km/h (13 %) zu viel angezeigt. Die photogrammerische Auswertung unter Zuhilfenahme der vom Messgerät ausgegebenen Zusatzdaten führt bei größeren Messabweichungen zu sehr guten Ergebnissen und ist damit ein probates Mittel zur Überprüfung von Messungen im Nachgang. Die Änderung der Gebrauchsanweisung mit Verschärfung der Auswertevorschriften führt nur bei einem geringen Teil der kritischen Messungen zur Aussonderung der Messung. Ein erheblicher Anteil der kritischen Konstellationen wird damit aber nicht erfasst, so dass die vertiefte Auswertung durch Sachverständige weiterhin unumgänglich ist."

In einer Zwischennachricht vom 01.04.2021 zu den Untersuchungen der PTB (siehe Datei im Download) teilt diese nun mit:

"Am 31.03.2021 traten bei einer umfangreichen PTB-Versuchsreihe mit präparierten Testfahrzeugen, die über spezielle Reflektoren im Fahrgastinnenraum verfügten, unzulässige Messwertabweichungen auf, die allesamt zu Gunsten Betroffener ausfielen. Die PTB hat die zuständigen Behörden der Markt- und Verwendungsaufsicht sowie den Hersteller umgehend informiert. In einem nächsten Schritt erfolgt jetzt die Abstimmung über die weitere Verfahrensweise mit den hierfür zuständigen Stellen."


Hersteller LEIVTEC  lässt Messungen aussetzen

Nachdem die PTB den Hersteller LEIVTEC darüber informiert hat, dass es neue Hinweise für die Überschreitung von unzulässigen Verkehrsfehlergrenzen gibt, bittet die Firma Leivtec ihre Anwender (u. a. die Kommunen), von Messungen abzusehen (siehe Datei im Download). Ich zitiere aus der mir überlassen Email:

"Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es auch bei der Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen."


PTB schließt Untersuchungen ab

Die PTB berichtet mit Stand vom 09.06.2021 an den Hersteller LEIVTEC und an die Verwendungsüberwachungsbeörden (u. a. Eichämter) über die Ergebnisse ihrer Untersuchungen. Ich zitierte aus dem Schreiben (siehe auch Datei im Download):

 

"a. in den vielen Tausend Fahrzeugdurchfahrten im Rahmen der Bauartprüfung wurde kein einziger Fall einer unzulässigen Messwertabweichung gefunden. Selbst mit speziell präparierten Fahrzeugen bedurfte es weit über tausend Durchfahrten, um eine Kombination aus Fahrzeugpräparation und darauf abgestimmten Aufstellbedingungen und Fahrgeschwindigkeit zu finden, bei der manchmal unzulässige Messwertabweichungen beobachtet werden konnten. Die stärksten in den PTB-Versuchen beobachteten Abweichungen betrugen -5,29 Km/h bei XV3-Messwerten bis 100 Km/h bzw. -4,19 % bei XV3-Messwerten oberhalb 100 km/h.

b. Alle Fälle unzulässiger Abweichungen, die zu Ungunsten des betroffenen ausgefallen wären, traten bei einer Rechtsmessung auf, also wenn das Messgerät aus Fahrersicht am linken Fahrbahnrand platziert war.

c. Alle Fälle unzulässiger Abweichungen aus dem DEKRA-Artikel haben gemeinsam, dass im Messung-Start-Bild das Nummernschild des betroffenen Fahrzeuges nicht vollständig im Messfeldrahmen enthalten war.

d. Alle Fälle unzulässiger Abweichungen haben gemeinsam, dass die Länge der Messstrecke (abzulesen als Hilfsgröße "Auswertestrecke" in der Bildschirmmaske "Zusatzdaten anzeigen" des Referenz-Auswerteprogramms Speed Check) weniger als 12,2 m betrug."

 


Anfrage an die PTB

Am 21.06.2021 hatte ich bei der PTB angefragt, was aus den vorgenannten Erkenntnissen jetzt folgt, etwa eine ergänzende Bedienungsanleitung mit neuen Auswertekriterien (Nr. b, c und d müssen beachtet werden, also keine Rechtsmessung + Kennzeichen in Messung-Start-Bild vollständig abgebildet + Auswertestrecke nicht weniger als 12,2 m).

Mir wurde am 15.07.2021 geantwortet:

"Sehr geehrter Herr Kottulinsky,

nach Mess- und Eichgesetz (§ 23 Abs. 6) ist nun der Hersteller in der Pflicht, z. B. entsprechende Nachbesserungen seines Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes Leivtec XV3 vorzunehmen oder das Gerät zurückzurufen. Bis dahin wollen wir unserer Auflistung der messtechnischen Beobachtungen auf unserer Informationsseite für Sachverständige und Justiz, https://www.ptb.de/geschwindigkeit_stellungnahmen, die Öffentlichkeit (u. a. Verwaltungsbehörden, Verwender und Gerichte) transparent über die uns vorliegenden Erkenntnisse und Beobachtungen informieren.
Gleichzeitig können die nach Mess- und Eichrecht zuständigen Stellen für die Markt- und Verwendungsaufsicht, sowie andere maßgebliche Behörden, diese Informationen bei der Festlegung ihrer eigenen Maßnahmen zum Geräte- und Verwendungseinsatz bei den im Markt befindlichen Geräten heranziehen; diese Maßnahmen liegen außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der PTB. Daher habe ich auch keine Übersicht über die Maßnahmen, die in den einzelnen Bundesländern getroffen wurden, sodass ich Sie an diese Länder verweisen muss.
Ich hoffe, dass ich Ihnen trotzdem wenigstens ein Stück weiterhelfen konnte und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Robert Wynands"


Hersteller LEIVTEC gibt auf

Nach einer Kundeninformation vom 05.07.2021 teilt der Hersteller LEIVTEC seinen Kunden (den Anwendern) mit, dass er das Messgerät LEIVTEC XV3 aus der Messanwendung nimmt und auch das Nachfolgemodell, dem LEIVTEC XV4, nicht mehr zur Zulassung bringt.


Resümee

Eine viel verwendetes und beliebtes, sogar für Messungen von Brücken (z. B. auf Bundesautobahnen) zugelassenes Messgerät verliert seinen Status. In den Bußgeldbescheiden sollte es jedenfalls als verwendetes Messgerät nicht mehr genannt werden. In zahlreichen Verfahren musste ich mir von den Anwendern in den Sitzungen anhören, dass die Messung mit diesem Gerät (zusammengefasst) über jeden Zweifel erhaben sei. Die Gerichte und Sachverständige standen fast immer ratlos vor diesem Ding, weil der Hersteller ihnen keine Informationen über die "innere Funktionsweise" des Geräts gab. Die Messung mit einem zugelassenen Messgerät wurde obergerichtlich unter dem Begriff "standardisiertes Messverfahren" "abgehakt". Wie sich nun durch die intensive Prüfungen gezeigt hat, zu Unrecht. Man fragt sich, warum nicht schon viel früher und intensiver geprüft wurde. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Für mich bedeutet der schnelle Fall dieses Messgeräts für alle hiernach kommenden Geschwindigkeitsmessungen, mit ebenso beliebten Geschwindigkeitsmessgeräten, wie S350, Poliscan oder ESO 3.0 usw.: eigentlich wie immer im Leben, wachsam sein und nicht (zu schnell) aufgeben, in diesem Fall, Messungen überprüfen zu lassen. Und vor allem, zu hinterfragen. Schließlich geht es um rechtsstaatliches Handeln, dass für Menschen gravierende Folgen in ihren Leben haben können. Dieses Handeln hat auch bei Geschwindigkeitsmessungen bekannterweise in jeder Hinsicht rechtmäßig zu sein.




Rechts­an­walt Axel ­Kottu­lin­sky
Verkehrsrecht - "Quid pro quo!"